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Kapitel 4.3

Willkommen an Bord

Der erste Umlauf. Drei Flüge. Drei Welten.

Bei Condor war es damals so: Die ersten sechs Monate gehörten der Kurz- und Mittelstrecke. Kein Langstreckenglanz, kein Jetlag-Exotenbonus – dafür Routine, Handgriffe, Tempo. Kurzstrecke hieß: Deutschland, Hamburg, Stuttgart oder vielleicht mal Palma. Mittelstrecke: Kanaren, Scharm El-Scheich, Marsa Alam. Flüge, bei denen du lernst, was Effizienz wirklich bedeutet – und dass Kaffee und Charme manchmal wichtiger sind als Schlaf, denn Briefing war ja bereits um 1 Uhr nachts. Die innerdeutschen Flüge waren unser Schnelllauftraining: Boarding, Türen, Getränkewagen, Lächeln, Landung.

Mittelstrecke war dagegen fast schon Festspiel. Da kam warmes Essen dazu und – der Höhepunkt damals – der legendäre Duty-Free-Verkauf. Das war noch vor der Amazon-Ära, als Parfum, Zigaretten und Toblerone echte Trophäen waren. Wir wurden schnell, präzise, eingespielt. Und ja – es gab noch Raucherabteile. Da warst du als Neuling besonders gefragt, denn die Kollegen mit mehr Dienstjahren – Seniorität war in der Fliegerei heilig – wollten so bald wie möglich ihre wohlverdiente Zigarette genießen. Also hieß es für uns: anpacken, bevor der Nebel aufstieg.

Doch bevor man überhaupt zu diesen „echten“ Flügen durfte, kam die Feuertaufe.

Die Einweihung in die Welt der Kabine.

Es gibt wohl in jedem Beruf kleine Rituale, mit denen man Neulinge willkommen heißt – in der Fliegerei allerdings nimmt man das sehr ernst. Oder besser gesagt: sehr humorvoll. Man schickt dich zum Beispiel mit einem Geldkoffer zum Tankwagen, um „die Rechnung zu bezahlen“. Oder man bittet dich nach einer härteren Landung, das rechte Fahrwerk zu „kühlen“ – mit einem Fächer, natürlich. Klassiker. Und wenn du Pech hattest, standest du dann wedelnd auf dem Vorfeld, während die halbe Crew Tränen lachte.

Ram Air Turbine

Mein persönlicher Favorit war der Hinweis, man müsse „unten am Bug mal kurz schauen, ob sich das Rad noch dreht“. Das sei die sogenannte RATRam Air Turbine – ein kleines Notfall-Wunderwerk, das sich bei Stromausfall ausklappt, um das Flugzeug mit Energie zu versorgen. Für alle, die sich jetzt fragen, was das ist: keine Sorge, ich erkläre es lieber einmal, bevor ich wieder in die Fliegerwelt abhebe. Dann kam mein Moment.

Meine eigene Feuertaufe.

Die Crew kannte mich schon, wusste, dass ich ehrgeizig war. Ich wollte ursprünglich sogar ins Cockpit – das war mein Traum. Nur hat die Tür sich damals nicht geöffnet, weder beim psychologischen Screening noch später über private Wege. Also blieb ich in der Kabine – mit Herz, mit Stolz, mit Humor. Und genau dieses Wissen nutzten meine Kollegen … gnadenlos.

Wir flogen von Frankfurt nach Teneriffa. Kapitän Kostic – der mir in ferner Zukunft noch einen sogenannten Besuch für ein Kaffeetrinken ohne Kekse verschaffen wird – hatte gemeinsam mit der Crew eine Idee, die in die Crew-Geschichtsbücher einging.

Mitten im Flug bekam ich eine ACARS-Nachricht (ein Bordkommunikationssystem für Kurznachrichten zwischen Cockpit und Boden): Ein Kollege einer benachbarten Finnair-Maschine sei ausgefallen. Ich – frischer, unbegleiteter Flugbegleiter mit einer frisch gedruckten 757-Lizenz – müsse den Flug für ihn übernehmen. Alle wussten Bescheid. Nur einer nicht: ich.

Und so packte man mir liebevoll meinen Trolley, reichte mir Pullover (Finnland: kalt – Teneriffa: warm) und gab mir ehrliche Ratschläge, wie ich mich am besten mit den Finnen verständigen könne. Ich schwitzte. Das Fahrwerk fuhr aus, die Gäste stiegen aus, und während mein Puls wie eine APU lief, kam die Ansage vom Kapitän: „Herr Dahmen, bitte nach vorne kommen.“

Die Crew stand Spalier, lächelte, klopfte mir auf die Schulter. „Viel Erfolg, Dominik. Wir sehen uns dann in Finnland.“ Ich glaubte alles. Und ehrlich: Ich hatte Panik. Ich war sicher, das war jetzt mein erster richtiger Alleinflug. Also stieg ich aus – Teneriffas Sonne, Wind, Vorfeld. Dann kam das Follow-Me-Fahrzeug. Der Fahrer zeigte auf eine Finnair-Maschine zwei Positionen weiter. „You go there, please.“ Ich zog also meinen Trolley übers Vorfeld, durch die Hitze, unter Hunderten von Augen. Alle am Terminalfenster beobachteten mich. Ich schwöre, selbst die Gepäcklader hatten sich eine Pause gegönnt, um das Schauspiel zu sehen. An der Treppe zur Finnair angekommen, standen drei Crewmitglieder – makellos finnisch, charmant, und sehr amüsiert. „Welcome! We are so happy you could come!“ Ich verstand gar nichts, nickte nur und betrat die Maschine. Das Flugzeug war voll besetzt. Jeder Passagier schaute mich an. Hinter mir fiel die Tür zu.

Ich marschierte den Gang entlang, stolperte fast über meinen Stolz, und erreichte die hintere Galleyunsere Bordküche, das Herz jedes Flugs, wo Kaffee, Geschichten und Weltanschauungen gleichzeitig gekocht werden. Dort stand die versammelte Crew, die mir ein Herz aus Blomben umhängte und rief:

„Welcome to aviation!“

Crew celebration

Und das ganze Flugzeug applaudierte. Der Applaus hallte wie ein Triebwerksstart. Ich schwankte zwischen Scham, Erleichterung und – ja – Glück. Dann musste ich natürlich denselben Weg wieder zurück. Vorbei an 200 lachenden Gesichtern, winkenden Passagieren und draußen einem ganzen Flughafen, der mir zuwinkte. Und als ich endlich wieder meine eigene Crew erreichte, standen sie da – auf der Treppe, klatschten, grinsten und riefen:

„Willkommen in der Fliegerei, Dominik!“

Das war mein erster Tag, meine erste Geschichte, mein roter Teppich über dem Vorfeld. Und wenn ich heute daran denke, dann weiß ich: So fängt jede Reise an – mit einem kleinen Scherz, einem großen Herzklopfen und dem Gefühl, endlich dazuzugehören. Vielen Dank fürs Lesen.

Das war mein erster Flug – aber definitiv nicht mein letzter. Es folgten hunderte weitere, mit Geschichten, Begegnungen und Momenten, die man nie vergisst. Wenn du Lust hast, weiter mitzufliegen, dann bleib gern dabei – nächste Woche geht’s weiter mit dem nächsten Kapitel und einem neuen Stück Crewlife. Und falls du beim Lesen über ein Wort stolperst – frag ruhig. Ich erkläre gern, was eine Galley, eine RAT oder was Deadhead bedeutet. Ich habe Fliegen gelebt, geatmet, geliebt – und stehe für jede Frage bereit.

Willkommen an Bord.


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