
Vanlife Realität, hinter der Romantik – Zwischen Freiheit, Verzicht und echtem Leben auf Rädern
Vanlife Realität beginnt nicht mit Sonnenuntergängen.
Es beginnt mit einem Traum und mit einem langen Weg dorthin. Und dieser Weg lehrt dich zuerst eines: Verzicht. Am Anfang steht die Reduktion. Du startest mit zu viel. Du nimmst Dinge mit, die du „sicherheitshalber“ brauchst – Dinge, die dir das Gefühl geben sollen, vorbereitet zu sein. Und dann merkst du unterwegs, dass du dir das falsch vollgestellt hast. Also fängst du an auszuräumen, wieder und wieder. Und irgendwann stellst du fest: Eigentlich brauchst du fast nichts. Bequemlichkeit wird verhandelbar.
Komfort wird zur Währung. Ein Knopfdruck und der Kaffee läuft – das war früher. Heute heißt Kaffee: Gas aufdrehen, Wasserstand checken, Topf festhalten, weil der Wind versucht, dir den Morgen zu stehlen. Ich stehe an der windigen Küste und putze mir die Zähne, während das Meer unter mir tobt – ein echter Vanlife-Moment zwischen Einfachheit, Salz und Sonnenaufgang.
Duschen?
Ja. Aber nur, wenn genug Wasser da ist. Und Duschen ist nicht gleich Duschen. Meine persönlich unangenehmste Dusche hatte ich in Südfrankreich. Ich hatte seit Tagen nicht geduscht. Dieses schwere, klebrige Gefühl auf der Haut am Morgen war so unangenehm, dass ich wusste: Es geht nicht mehr anders. Aber es war nicht wie Zuhause, wo du einfach ins Bad gehst, warmes Wasser aufdrehst und Wärme deinen Rücken runterläuft. Es waren sechs Grad Außentemperatur. Nieselregen. Wind. Matsch unter den Füßen. Und das Wasser im Tank – kaum 25 Liter – war genauso eiskalt wie die Luft.
Also stand ich da, frierend und nackt, mitten in der freien Natur. Der Wind peitschte über meine Haut, und ich zwang mich, das eiskalte Wasser über mich laufen zu lassen. Jeder Liter war unangenehm. Ich zitterte, ich fluchte, ich lachte, weil ich sonst geschrien hätte. Und trotzdem wusste ich: Ich darf nichts verschwenden. Denn Wasser ist unterwegs kostbar. Ich brauche es zum Kochen, zum Kaffee, zum Abwaschen, manchmal auch für die Toilette.
Es war ein Spiel mit der Menge, immer an der Grenze zwischen „genug“ und „zu wenig“. Als mir irgendwann wieder halbwegs warm war und alles verstaut, saß ich im Bus, eingehüllt in Handtücher, und sagte zu mir selbst: Wenn ich mir irgendwann einen neuen Camper kaufe oder einen umbaue – er muss nichts haben. Kein Luxus. Keine Spielereien. Aber eine Dusche im Fahrzeug ist Pflicht. Und wenn es wirklich Luxus sein darf, dann vielleicht sogar warmes Wasser.
Strom
ist kein Selbstläufer. Strom ist ein täglicher Deal zwischen Verbrauch und Sonne. Wenn die Sonne da ist, leben die Batterien. Wenn nur Regen kommt, bleibt dir manchmal nichts anderes übrig, als den Motor laufen zu lassen, Strecke zu machen nur fürs Laden oder das Aggregat anzuschmeißen. Du lernst, Energie nicht mehr als Hintergrundrauschen zu sehen, sondern als etwas Lebendiges. Als Partner. Oder Gegner.
Wenn du keinen ausgebauten Luxus-Liner hast, sondern nur einen Bulli, dann zählt jeder Zentimeter. Jedes Kabel, jede Tasse, jedes Handtuch hat seinen Platz. Wenn es diesen Platz nicht hat, kippt der ganze Ablauf. Ein Ladekabel, das du abends müde irgendwo hinwirfst, kann am nächsten Morgen bedeuten: Du findest nichts mehr. Du trittst drauf. Du wirst laut. Und du merkst, wie dünn der Abstand zwischen Ordnung und Chaos ist. Vanlife ist kein Luxusurlaub auf Rädern.
Deshalb trenne ich: Camping, Glamping, „mit dem Camper unterwegs sein“ und Vanlife. Ich habe viele Messen gesehen. Ich habe mit Herstellern gesprochen, mit Ausbauern, mit Autohäusern, mit Zubehör-Anbietern. Der Markt explodiert. Seit Corona wollen viele Menschen raus, frei sein, selbst entscheiden, wo sie schlafen. Und der Markt bedient das.
Für jeden Geschmack gibt es etwas. Für jede Komfortzone. Vom All-inclusive-Wohnmobil bis zum Tiny House mit Ambientebeleuchtung. Das ist okay. Das darf es geben. Aber eine Kopie des Zuhauses auf vier Rädern ist für mich kein Vanlife. Das ist Reisen. Urlaub. Komfortmobilität. Und vollkommen legitim. Nur Vanlife, wie ich es meine, ist etwas anderes.
„Back to the roots“
heißt nicht Designerholz und Duftkerzen. Es heißt etwas Schlichteres und eigentlich Älteres. Es ist näher an dem, was in den Sechzigern und Siebzigern passiert ist, als Leute mit alten Bussen loszogen. Menschen, die fast nichts hatten außer diesem kleinen Fahrzeug und dem Glauben, dass die Welt ihnen gehört, wenn sie fahren. Kein Jacuzzi, kein Satellitenfernsehen, keine Klimaautomatik. Und trotzdem – oder genau deshalb – waren sie glücklich. Es ist ein ständiges Ausbalancieren.
Du wäschst dein Geschirr mit so wenig Wasser wie möglich und merkst, wie verschwenderisch du früher warst. Du lernst wieder zuzuhören: dem Wind, der Sonne, deinem eigenen Körper. Nicht jeden Tag brauchst du einen Spot für Instagram. Manchmal brauchst du einfach nur einen sicheren Platz für die Nacht. Einen Ort für Ruhe. Für Schutz. In dieser Einfachheit liegt etwas, das man in Wohnungen kaum findet: Ehrlichkeit. Vanlife ist das Üben von Genügsamkeit – nicht, weil Minimalismus Trend ist, sondern weil du sonst nicht klarkommst.
Und dann passiert etwas Seltsames: Dieses scheinbare „Weniger“ fühlt sich irgendwann nach „Mehr“ an. Mehr Klarheit. Mehr Bewusstsein. Mehr Nähe zu dir selbst. Das „Ich brauche“ wird kleiner. Das „Ich bin“ wird größer.
Du gibst Komfort ab – und bekommst dich selbst zurück.
Willkommen an Bord
