Image
Image
Kapitel 7.3

Traum, Entscheidung und Stillstand: Wie ein Bulli mir das Leben rettete

Traum oder Ziel

Ich hatte schon immer diesen Traum, mir eines Tages einen Bulli zuzulegen. Nicht irgendein Auto, sondern den Bulli von Volkswagen. Für mich war er schon immer mehr als ein Fahrzeug. Er war ein Stück Geschichte, ein Symbol für Freiheit, Unabhängigkeit, Lebenslust und dieses unbeschreibliche Gefühl von „einfach losfahren“. Ich hatte die Bilder im Kopf, wie sie in den alten Broschüren gezeigt werden: Ein VW-Bus am Meer, das Dach aufgeklappt, zwei Menschen sitzen in der Tür, der Himmel färbt sich im Sonnenuntergang. Das war das Bild, das Volkswagen über Jahrzehnte verkauft hat, und genau dieses Bild hat sich bei mir eingebrannt. Aber dieser Traum hatte zwei Seiten. Zum einen war da dieses kindliche „Ich will das irgendwann auch haben“. Und zum anderen war da die Zeit, in der alles stillstand – Corona.

Corona hat nicht nur meinen Alltag verändert, sondern mein ganzes Leben. Ich war Flugbegleiter bei Lufthansa, gewohnt, jeden Monat die halbe Welt zu sehen – und plötzlich saß ich zu Hause. Kein Fliegen, keine Bewegung, keine Weite. Nur Wände. Und je stiller es um mich wurde, desto lauter wurde in mir dieser Drang nach Freiheit. In dieser Zeit fing ich an, mich in andere Geschichten zu verlieren – Menschen, die das Leben lebten, das ich mir so sehr wünschte. Einer davon war Max Lange, gemeinsam mit seiner Anna. Ich sah ihre Videos, ihre Reisen, wie sie mit ihrem Bus durch Europa fuhren, irgendwo standen, einfach lebten. Nichts Besonderes – und doch alles. Diese Leichtigkeit, diese Unabhängigkeit – das traf etwas in mir, das ich bis dahin vielleicht verdrängt hatte. Ich fing an zu recherchieren, zu träumen, zu planen. Parallel zu meiner alten Leidenschaft – dem Segeln. Segeln und Vanlife – beides sind für mich zwei Wege zur selben Quelle: Freiheit. Nur eben einmal auf dem Meer und einmal auf der Straße. Und irgendwann war klar: Wenn ich schon kein Boot habe, dann wenigstens einen Bulli.

Die Entscheidung

Doch so einfach ist das nicht. Man geht nicht einfach in ein Autohaus, zeigt auf einen Bus und fährt davon. Ein Bulli ist keine spontane Entscheidung – es ist ein Commitment. Finanziell, emotional, praktisch. Ich habe lange überlegt. Wirklich lange. Weil so ein Fahrzeug kein Wunsch ist, sondern ein Versprechen – an sich selbst, an ein anderes Leben. Und als ich mich endlich entschieden hatte, kam das nächste Abenteuer: die Bestellung. Bei einem normalen Auto hast du vielleicht zwei, drei Seiten zum Ankreuzen. Beim VW-Bus sind es zwanzig. Man verliert sich schnell zwischen all den Optionen, Paketen, Farben und technischen Begriffen. Und in diesem Chaos habe ich natürlich einen Fehler gemacht. Ich bestellte den Beach – aber eigentlich wollte ich den Ocean, den mit Küche. Also alles von vorne. Eine neue Bestellung, neue Wartezeit, neue Hoffnung.

Dann hieß es: drei Monate Lieferzeit. Am Ende wurden daraus anderthalb Jahre. Corona hatte alles durcheinandergebracht – Lieferketten, Produktion, Menschen. Und so wurde diese Wartezeit irgendwie zu meiner inneren Vorbereitung. Jedes Mal, wenn ich online den Status checkte, hoffte ich, er sei endlich fertig. Aber er war es nie. Und so wuchs nicht nur die Ungeduld, sondern auch die Sehnsucht. Ich habe in dieser Zeit so viel über Freiheit nachgedacht wie nie zuvor. Darüber, was sie eigentlich bedeutet, wenn man sie nicht mehr hat. Doch eines wusste ich damals nicht – und vielleicht war es besser so: Ich wusste nicht, dass dieser Bus mehr werden würde als ein Fahrzeug. Ich wusste nicht, dass er mich eines Tages begleiten würde, wenn mein Leben plötzlich stillsteht. Ich wusste nicht, dass er mir helfen würde, wieder aufzustehen, wenn alles andere fällt. Damals war es einfach nur ein Traum auf Rädern. Ein Stück Sehnsucht in Blech gepresst. Aber im Rückblick war es fast, als hätte das Leben schon geahnt, was kommen würde. Als hätte dieser Bulli schon vorher gewusst, dass er mich eines Tages tragen muss – nicht nur über Straßen, sondern durch Stürme. All das war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst. Ich wollte einfach nur Freiheit. Aber vielleicht war genau das der Anfang von etwas, das mich retten würde.

Als das Leben stillstand

Und dann kam die Zeit, die alles veränderte. Die Zeit, in der mein Leben plötzlich stillstand. Alles, was mich bis dahin getragen hatte – Routine, Sicherheit, Alltag – fiel einfach weg. Von einem Tag auf den anderen. Schon lange vorher hatte mein Körper angefangen, sich zu wehren. Immer wieder. Ich war ständig krank, ohne dass jemand wusste, warum. Ich kam mit Jetlags nicht mehr klar, mit der Enge in Flugzeugen. Ich bekam sogar Flugangst – etwas, das ich mir früher nie hätte vorstellen können. Sogar Flüge, die ich einmal geliebt hatte – Los Angeles, mein gefühltes Wohnzimmer – wurden plötzlich zu einer Hürde. Ich war einfach nur noch krank. Wenn jemand erkältet war, wurde ich es auch. Ich war müde, antriebslos, manchmal ohne erkennbaren Grund. Und doch funktionierte ich. Ich arbeitete weiter in der Fliegerei – mein Job, meine Routine, mein Alltag.

Aber mein Körper begann, mich im Stich zu lassen. Ich fuhr zum Flughafen, um meinen Dienst anzutreten – und wurde im Briefingraum ohnmächtig. Ich hatte Fieberkrämpfe, Schweißausbrüche, Schwindel. Immer dann, wenn es darum ging zu fliegen, bekam ich Magenprobleme, Panik, Kreislaufstörungen. Ich verstand nicht, warum. Über Jahre hinweg suchte ich Ärzte auf – keiner fand etwas. Ich bekam Diagnosen, Bluttests, Medikamente, aber keine Antwort. Und irgendwann, nach unzähligen Versuchen, nahm ich psychologische Hilfe in Anspruch. Diese Therapeutin war die Erste, die das Ganze zusammenfügte. Sie sah, was niemand zuvor gesehen hatte:

Ich war in einer schweren Depression.

Ein Wort, das ich früher nie ernst genommen hatte. Depression – das hatten andere. Nicht ich. Doch plötzlich war es da. In voller Wucht. Mitten in meinem Leben. Zu allem Übel kam dann auch noch Corona. Die Welt hielt an – und mit ihr auch ich. Diese Entschleunigung, die alle herbeigesehnt hatten, brachte ihre eigene Wahrheit mit. Und meine war: Ich war leer. Mein Körper, mein Kopf – alles war müde. Und dann, als wäre das nicht genug, kam der Tag, der mir den Boden unter den Füßen wegzog: Der Tod meiner Mutter. Wir hatten sie kurz zuvor noch besucht, es war alles normal. Und plötzlich war sie weg – und ich musste für alles die Verantwortung übernehmen. Diese Nachricht hat mich in ein Loch gerissen, das ich nicht kannte. Eines, aus dem man nicht einfach wieder herausklettert.

Ich war zu diesem Zeitpunkt schon in psychologischer Betreuung, weil Ärzte über Jahre keine Ursache fanden. Aber nach dem Tod meiner Mutter war alles anders. Da war nichts mehr, woran ich mich festhalten konnte. Die Depression, die vorher nur leise war, wurde laut. Und ich verlor meinen letzten Halt. Es gab Tage, da wollte ich einfach nicht mehr aufstehen. Nicht, weil ich nicht konnte, sondern weil ich keinen Grund mehr sah. Alles, was früher wichtig war, bedeutete nichts. Sogar meine Familie und meine Kinder waren für mich plötzlich weit weg. Egal, ob die Sonne schien, das Essen fantastisch war oder meine Kinder meine Nähe suchten – es kam nicht mehr bei mir an. Da war nur noch Dunkelheit.

Und als wäre das nicht genug, kamen sie: die Panikattacken. Diese ständige Panik, die plötzlich einfach da war – ohne Grund, ohne Warnung. Wie Stromschläge, die durch meinen Körper schossen und Schmerzen in allen Muskeln auslösten. Ich konnte keinen Supermarkt mehr betreten, ohne das Gefühl, gleich umzufallen oder zu ersticken. Wenn Menschen zu nah bei mir standen, fühlte es sich an, als würde Strom durch meinen Körper jagen. Meine Finger wurden taub, meine Knie weich, meine Brust eng. Ich konnte nicht mehr atmen. Ich wollte fliehen. Nur wusste ich nicht, wohin. Das war der Punkt, an dem mein Leben stehen blieb. Ich hatte keine Kontrolle – nicht über meinen Körper, nicht über meinen Kopf, über gar nichts mehr. Ich wusste damals nicht, dass genau in dieser Zeit, irgendwo in einem Werk in Hannover, ein kleiner Bus stand. Mein Bulli. Mein Herbie. Ein Stück Blech, das bald zu meinem Zufluchtsort werden sollte und mein Leben retten würde. Ich wusste es nicht. Aber vielleicht wusste das Leben es schon.

Willkommen an Board


Podcasts

Share Post