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Kapitel 4.2

Schulbank, Slide & Tomatensaft: Wie Routine Haltung wird

Der erste Schritt wieder fest unter den Füßen: raus aus dem Schwimmbecken, rein in die Schuhe, zurück die Schulbank drücken. Die Tage wurden zu Wochen. Und die Wochen bekamen einen Rhythmus aus Textmarker, Kaffeeduft, Rascheln von Handouts und dem dauerhaften Besuch der Kantine.

Service zuerst

In der Fliegerei gibt es für alles ein Handout. Für den Ablauf. Für die Ausnahme. Für den Notfall und für den Fall, dass der Notfall höflich absagt. Wir haben oft gelacht: Es gibt ernsthaft eine Anleitung für den Getränkewagen. Wo der Tomatensaft steht (Spoiler: nicht neben dem Kaffee), wie die Bremsen einrasten, welche Dose wohin, damit beim Rollen nicht das große Dosenballett beginnt. Das die Theorie.

 

Flugzeuge haben alles außer Platz. Also schnitzen wir Ordnung aus Quadratzentimetern. Irgendwann merkst du: Der Wagen ist kein Metallkasten. Er ist eine Operette auf Rollen. Wenn eine Person falsch einschenkt, stolpert die Dramaturgie. Dann kam die Praxis. Die Kunst des Unmöglichen unsere kleine Bord-Magie: 150 Gäste, 120 Essen und am Ende sind trotzdem alle satt (Tauschgeschäfte, Charme, Plan B … und ein mysteriös vermehrungsfreudiger Tomatensaft).

Vier Toiletten, zwei kaputt, eine zickt – plötzlich wird Verkehrsführung zur Hochleistung mit Lächelpflicht. Wasser knapp? Dann werden Eis, Logistik und Geduld zum Getränkeservice, der niemanden verdursten lässt. Das ist Service, wenn’s ernst wird: aus wenig viel machen, aus Chaos Ruhe, aus Sekunden Entscheidungen – und dabei so freundlich klingen, als sei das alles genau so geplant gewesen.

Sicherheit parallel

Engel über den Wolken“ klingt schön funktioniert aber nur, wenn Hände im Ernstfall schneller sind als die Angst. Fürs Luftfahrt-Bundesamt übst du regelmäßig, nicht um dramatisch zu wirken, sondern um unspektakulär verlässlich zu sein.

 

Und das ist nicht optional, das ist Lizenz-Leben: Damals bei Condor flogen wir Boeing 757 und Boeing 767 – mit ihren feinen Untervarianten. Für jedes Muster brauchst man eine Lizenz, und die hat kein „für immer“, sondern ein Ablaufdatum.  Stell’s dir vor wie einen Führerschein mit Kalender: einmal erwerben und jedes Jahr neu bestätigen. Drei Bausteine tragen das Ganze: Musterkunde (Was kann dieses Flugzeug? Wo ist was?), Abläufe/Prozeduren (normal & abnormal) und Flight Safety/Notfälle (Feuer, Rauch, Evakuierung, medizinische Themen, Deeskalation).

Humorvoll gesagt: Der Jetlag vergisst dich vielleicht die LBA-Erinnerung nicht. Es gibt keinen Applaus, sondern einen Stempel und genau der hält die Tür zur Arbeit offen. Ziel ist nie Actionkino, sondern das Gegenteil: Routine so stabil, dass sie in der echten Welt einfach trägt. Dazu kommt die kleine Sanduhr im Dienstplan: die 90-Tage-Regel pro Muster. Heißt: Für jede Flotte, auf der du eingetragen bist, musst du innerhalb von 90 Tagen mindestens einen Einsatz gehabt haben, sonst wird’s formell „kalt“ – und du brauchst einen Auffrischungs-Step, bevor du wieder los darfst.

Wer länger nur Langstrecke unterwegs war, merkt: Die Kurz-/Mittelstrecke will auch gepflegt werden. So entsteht das Gleichgewicht: internationale Umläufe für die Weite, Kurzstrecke für die Handgriffe im Takt und beides zusammen hält Kopf, Hände und Lizenz warm.

Flight Safety – unser Trainingsraum

Geübt wird im Mock-upFlugzeugquerschnitte in großen Hallen, teils auf Hydraulik. Nicht, um uns zu beeindrucken sondern damit der Körper zuerst reagiert und der Kopf ruhig nickt: „Kenn ich.“ Frank war unser stiller Dirigent. Er baute aus trockenen Vorschriften kleine Welten. Nie Klamauk – aber Humor als Klettverschluss fürs Wissen. Die Rauchschutzhaube war Mels und mein Dauer-Highlight. Graue Box, Form ein Buch mit Übergewicht. Haube raus, in Sekunden überziehen, aktivieren und plötzlich schmeckt Luft, als hätte jemand ein Ei in der Sauna vergessen. Zehn bis dreißig Minuten Frist, je nach Modell. Bei Frank gern etwas länger damit Zeit nicht nur Zahl bleibt, sondern Gefühl. Versuch mal unter der Haube zu lachen. Klingt, als würdest du durch eine Plastiktüte grinsen. Wir haben es natürlich trotzdem getan. Merksatz: Humor ist keine Ablenkung – er verankert.

Ablaufkunde der Flug als Fluss

Boarding, Türen, Pushback. Servicefenster. Sondermahlzeiten. Sonderwünsche. Abfalllogik. Nachbestückung. Wir probten Ansagen, die man tausendmal hört und trotzdem tragen muss. Nicht runterleiern – sondern mit „Liebe zum Detail“. So, dass „Willkommen an Bord“ nicht verbraucht klingt, sondern gemeint.

Der „Bodensekundenblick“

Jemand betritt das Flugzeug. Ein, Zwei Sekunden – scannen ohne zu starren. Blass? Überdreht? Überfordert? Zittrige Hände? Braucht jemand Hilfe, Wasser, Stille, eine Erklärung? Nicht, um zu urteilen. Um Verantwortung zu übernehmen es geht über den Wolken um Menschenleben. Viele glauben, Sicherheit beginnt, wenn die Türen schließen. In Wahrheit fällt die wichtigste Entscheidung oft vorher – still, aufmerksam, menschlich. Ich wünsche mir, dass man „AIRLINE CREWS“ wieder anders sieht. Das Image hat gelitten – vielleicht ist die Postkarte lauter als das Protokoll dahinter. Aber hinter jeder Ansage steht ein Mensch mit Familie, Freunden. Hinter jedem Lächeln eine Ausbildung, die aus Routine Haltung macht.

Und ja: Wir kommen klar – überall auf der Welt. Mit fremden Regeln, neuen Situationen, Kulturen, die wir respektieren. Manchmal ist das Abenteuer. Manchmal ist es schlicht Arbeit, während die innere Uhr gerade eine andere Zeitzone vorschlägt. Beides ist wahr.

Die 90 Tage vergingen im Fast-Forward: Service, Ablauf, Sicherheit; Praxis und Theorie; faire, fordernde Tests. Und mitten in den Checklisten passierte das Eigentliche: Wir lernten, dass Ruhe nicht laut ist. Dass Entscheidung nicht schreien muss. Dass Verantwortung sich leise anfühlt – und dann bleibt. Und dann kam mein Tag. Die Flugspange – klein, schwer, ein Tor zu einer anderen Welt. Kein Klassenzimmermoment, sondern Ergebnis der ersten begleiteten Umläufe (Flüge). Als zusätzliches Crewmember stehst du auf echter Borduhr: reale Gäste, reale Zeitfenster, reale Lösungen. Drei Flüge. Dreimal mitlaufen, mitdenken, mittragen. Danach weißt du: Ich gehöre hierher oder ich muss die Airline wieder verlassen. Die Spange berührt den Stoff – nicht prunkvoll, aber würdig. Klein. Metall. Bedeutung.  (Und ja: Der Tomatensaft hat wirklich einen eigenen Fanclub. Aber das ist eine andere Geschichte.)

Wie diese drei Flüge waren? Erzähle ich beim nächsten Mal.

Willkommen an Bord.


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